Samstag, 10. Mai 2008

Handlungsanweisungen

Es wird Zeit, mit Brüssel abzuschließen; nicht mehr daran zu denken; die nicht vorhandenen Bilder ins nicht vorhandene Bilderalbum zu kleben und sie nie wieder anzusehen; es zur Geschichte zu erklären, weil der progressive junge Mensch sieht immer nach vorn, blickt gen Zukunft, bleibt nie stehen, schreitet stets voran. Es wird Zeit. Der "Erfahrungsbericht" oder auch "Praktikumsbericht" für "Brüssel" im "Europäischen Parlament" muss her. Ich muss doch der Menschheit helfen, mit ihr meine Erfahrungen teilen, damit mitzuwirken, eine bessere, schönere, fröhlichere, glücklichere, umweltverträgliche Welt aufzubauen. Das bin ich ihr schuldig, nach all dem was diese Welt mir an Möglichkeiten mitgegeben hat. Es wird Zeit, etwas zurückzugeben. Das bin ich ihr schuldig. So viel Hunger, Krankheit, Krieg, Elend, Leid, Mangel wohin man nur blickt. Es wird Zeit. Es muss etwas passieren. Man muss doch was tun. Ich muss doch was tun. Ich helfe. Ich übernehme Verantwortung. Ich tue etwas. Ich gebe der Welt den lang erwarteten Erfahrungsbericht über mein Praktikum am Europäischen Parlament in Brüssel. Möge er von Generation zu Generation weitergegeben werden und das Wissen der Menschheit mehren. Das bin ich ihr schuldig. Es wird Zeit. Darüber hinaus nervt mich die ganze "Was hat es dir gebracht?"-Fragerei.

Was hat es mir gebracht? Erfahrungen natürlich. Ein "Erfahrungsbericht" ohne Erfahrungen wäre ja auch ein wenig dürftig. Also mein Brüsselaufenthalt hat mir immerhin schon so viel mitgegeben, dass ich einen Erfahrungsbericht schreiben kann. Das kann auch nicht jeder. Freude, Freude. Baue ich deswegen auch endlich ganz viele Links in meine Posts ein, so dass nicht nur die Welt, sondern auch die Blogosphäre von meiner Genialität profitiert? Nein. Keine Freude, keine Freude.

Jetzt wird es ernst: Die Zeit in Brüssel war die beste Zeit meines Lebens. Die vier Monate dort waren so gefüllt mit Leben, dass man zu keiner Sekunde merkte, dass es ganze vier Monate waren, die selbstverständlich viel zu kurz waren. Ich bin von Sehnsucht erfüllt. Ich möchte dorthin zurück unbedingt. Wann werde ich denn je wieder in meinem Leben so viel Spaß haben, so vieles Neues kennenlernen, in so engem Kontakt mit der Jugend der Welt stehen wie dort in Brüssel? Was kann es spannenderes geben als mitzuwirken an der Europäischen Idee? Dass ich die Gelegenheit hatte als Bestandteil der Administration des Europäischen Parlaments an dieser Idee mitzuwirken, erfüllt mich mit Stolz. Ich war im Zentrum von Europa. Dieses Europa, das der Welt Frieden und Wohlstand brachte, den Hunger bekämpft, jedem Sturm trotzt und die Fackel des Fortschritts in alle Ecken der Welt trägt. Ich habe mit Repräsentanten aller Länder Europas zu Mittag gegessen und ich spürte, wie ich dadurch die Verständigung der Menschheit half zu forcieren, so dass das Ideal einer vereinten Menscheit ohne Grenzen bald kein Ideal mehr sein wird, sondern greifbare Realität. Alle Unterschiede zwischen Klassen, Nationen, Religionen werden sich aufheben, die Interessensgegensätze werden sich auflösen. Europa macht es möglich. Danke, Europa! Danke, dass ich ein Teil von dir sein durfte. Du bist toll! So toll! Ich wünsche es jedem, dass er wie ich die Chance erhält, dieses Gefühl erleben zu dürfen. Ich merke, man kann es gar nicht so richtig beschreiben. Man muss es erlebt haben. Gut für mich, schlecht für euch. Aber ich gebe mein Bestes, dass ihr diesen Mangel leichter ertragen könnt. Ich offeriere euch die Möglichkeit, an meinen Lippen zu hängen und meine Erzählungen als Heilmittel eures Schmerzes zu genießen.

Seid ihr wie ich, voll bedingungsloser Begeisterung für die rosige Zukunftsvision, für die Europa steht; seid ihr wie ich, hungrig auf internationale Herausforderungen, satt von der Behäbigkeit eurer Herkunft; wollt ihr wie ich, nicht Zaungäste des Weltgeschehens sein, sondern Entscheider im Zentrum der Macht sein; wollt ihr wie ich eure Zimmerwände nicht mit Postkarten, sondern mit Visitenkarten plakatieren; empfindet ihr wie ich Freundschaften, enge Bindung zu anderen Menschen, als Hindernis auf eurem dynamischen Weg, als bremsende Elemente auf eurem Kurs des ständig in Bewegung bleibens; erkennt ihr wie ich, dass Fortschritt bedeutet, fortzuschreiten, Dinge und Menschen, die für den höheren Zweck obsolet geworden sind, hinter euch zu lassen; spürt ihr wie ich, dass Volatilität und schnelle Anpassung an neue Begebenheiten der Weg zum Heil ist; erachtet ihr wie ich Ruhe, Beständigkeit und Sesshaftigkeit als Routine, als störende Regression der ewigen Progression; seid ihr wie ich, dann solltet ihr, dann müsst ihr nach Brüssel! Es ist eure Welt.

Seid ihr nicht wie ich - dann werdet ihr dort leiden. Zu recht. Denn ihr habt dort nichts zu suchen. Ihr steht im Weg, ihr bremst, ihr blockiert. Ihr seid minderwertig. Ihr gehört dort nicht hin. Gebt den Weg, den Platz für andere, bessere, würdigere Menschen frei. Wollt, könnt ihr schon nichts beitragen zum Heilsplan der Menscheit, dann zeigt ein letztes Mal, ein erstes Mal Würde und geht zugrunde. Hinfort mit euch. Man kann euch zu nichts zu gebrauchen. Wagt ihr es dennoch, dann werden wir euch bestrafen. Ihr werdet allein sein, isoliert, denn ihr stört. Ihr werdet zurückgelassen, wenn die wahren Menschen voranschreiten. Ihr werdet es jeden Tag, jede Stunde, jede Minuten, jede Sekunde merken, dass ihr hier nicht willkommen seid. Ihr werdet nichts mitnehmen, denn ihr werdet nichts finden. Ihr werdet unter dem Wetter leiden, denn ihr werdet von den Büros, in denen bis spät nachts die Geschicke der Welt bestimmt werden, ferngehalten. Euch wird nichts übrig bleiben, als voller Sehnsucht auf eure Rückkehr in die platonische Höhle zu warten. Zu mehr seid ihr nicht fähig.

Diesen Versagern wird höchstens gnädig gewährt, dass sie den öffentlichen Nahverkehr ihrer Heimat wie einen Gott verehren können, dass sie ihr armseliges Profil damit schmücken können, "Erfahrungen" in der Fremde in einer fremden Sprache gesammelt zu haben, dass ihnen die Augen geöffnet wurde und sie bemerken, dass Brüssel, das Mekka der wahren Menschheit, der falsche Platz für sie ist. Ihnen wird die Erkenntnis gegeben, dass sie der Menschheit wegen ihrer Unfähigkeit nicht helfen können, dass sie eine niedrige Existenz sind, die sich erstmal selbst helfen muss. Dort, wo auch immer sie herkommen. Das wird Brüssel euch lehren. Ihr müsst euch entscheiden: Seid ihr würdig, seid ihr besser, seid ihr Bestandteil der messianischen Kraft, dann wisst ihr, wo euer Platz ist. Seid ihr es nicht, bleibt fern! Zum Wohle der Menscheit - und auch zu eurem Wohle.

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