Sonntag, 16. Mai 2010

Na da schau her: ein Christ!

Bekanntlich ist (oder war) Kirchentag in München. Spätestens erfährt man es, wenn irgendeiner daherraunt, dass ihm die 'Scheißchristen' allmählich auf den Sack gehen. Zum Teil sind es typische Münchner, die auch 'Scheißwiesn', 'Scheißfußball', 'Scheißtouristen' oder 'Scheißmenschen' daherraunen. Der Rest setzt sich aus Gemütern zusammen, die tatsächlich ein Problem mit 'Christen' haben und alles daran tun, der Welt, die es nicht interessiert, mitzuteilen. Trotz dessen, dass sich in Deutschland nahezu alle fünf Meter eine Kirche breitmacht, behandelt manch kosmopolitischer, weltoffener, blablabla Großstädter die Kirchentagsbesucher als Aliens resp. Untermenschen. Was man alles an normalen, Nichtkirchentagstagen an kultureller Aufgeschlossenheit und in Szene gesetzter Toleranz ertragen muss. Kommt aber ein Christ um die Ecke, wird der Judenstern ausgepackt.

Beispielsweise die SZ-Online-Truse, die immer die etwas sinnbefreiten Foto-Klick-Strecken bebildern und -texten darf. Thema: Ethnologische Annäherung an das Völkchen 'Christen' mit ihren eigenartigen Bräuchen, ergo: "Party, mal ganz anders.." Extrem schockierend: Die brüllen nicht, trinken keinen Alkohol und schon um 23 Uhr geht's nach Hause. Scheiße, sind die langweilig. Gut, dass die Frau ansonsten am Wochenende am Styler-Zentrum Gärtnerplatz rumhängen darf, wo das alles garantiert nicht vorkommt.

(Was eigentlich gerade Alkoholabstinenz mit dem Christentum zu tun haben soll, verstehe ich allerdings auch nicht. Die meisten Kirchentagsbesucher, erkenntlich an den orangenen Schals und/oder garantiert reizfreien, aber total praktischen Kapuzenanoraks, offensichtlich ebenso nicht, was vielen Kneipenbesitzern gefreut haben dürfte. Außerdem waren auf dem Gelände auf der Theresienwiese nicht nur Alkohol, sondern auch Fahrräder und Glasflaschen verboten. Rauszufinden, auf welcher Bibelstelle das fußt, wäre doch mal nen schickes Doktorarbeitsthema.)

Die 'Christen' fielen- zugegeben - tatsächlich auf. So viele Menschen auf einem Haufen, denen es durch die Bank scheißegal war, wie sie auf andere wirken. Bizarr gekleidete, irritierend gestylte Leute sind gerade in München keine Seltenheit. Aber im Gegensatz zu den weltoffenen, extremalternativen Toleranz-Ego-Wichteln steckt hinter dem gewöhnungsbedürftigen Outfit keine Überlegung und keine Minute Aufbrezel-Arbeit. Banale Individualität auf höchstem Niveau.

Conclusio: Lieber lasse ich mir zum x-ten mal irgendwas aus der Bergpredigt vorpredigen als mir zum x-ten mal irgendeine wahnsinnig genial, total tiefgehende, höchst philosophische, super feinsinnige Liedstrophe einer natürlich extrem independenten Indie-Band anzutun. Und vielleicht kaufe ich mir auch einen solchen Anorak!

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