Auf der Welt passiert einfach schreckliches: die UNO dokumentiert, dass jedes Jahr Millionen von Menschen wegen verschmutzter Luft und dreckigem Wasser sterben; der NATO gehen die Soldaten aus; die Hypothekenkrise verlangsamt den wirtschaftlichen Aufschwung; ein nahezu blinder und schwerhöriger 91-Jähriger wird von ner Tram überrollt (was einem lehrt, dass blind sein und taub sein eine außerordentlich schlechte Kombination ist); und ein Sozialphilosoph lässt sämtliche Ideologiegebäude einstürzen: "Zum ersten Mal in der Geschichte kann man davon sprechen, dass die Gesellschaft und die darin handelnden Menschen Anhängsel von Kapital und Markt geworden sind. Es ist die geschichtlich fortwirkende Substanz des demokratischen Sozialismus, diese entwürdigende Abhängigkeit der Menschen aufzuheben."
Aber das allerschlimmste ist und bleibt natürlich: Ich bin immer noch arbeitslos! Das ist die schlechte Nachricht für mich. Die schlechte Nachricht für Euch: Es ist 12 Uhr, Frühstück beendet, Zeitung (siehe oben) ersichtlich gelesen, die Suchmaschinen wurden bedient, zum Schafkopfen muss ich erst um 20 Uhr, das spontane und auch hektisch (weil vollkommen verplant) organisierte Meet-and-Greet mit der zurzeit in Ungarn weilenden Frau vom Germanistik studierenden Schachspieler namens H. lässt auf sich warten - also habe ich ganz viel Zeit meine historisch ultimativ relevanten Ergüsse hier festzuhalten.
Mancher mein Blog lesender Anhänger der höchstpopulären Sichtweise des "Wenns schief läuft, dann such die Schuld bei dir!" aka "Jeder ist seines Glückes Schmied" (- die Zeiten sind jetzt allerdings vorbei, nachdem ja der Sozialphilosoph mit oben aufgeführter Weisheit, prominent platziert auf Seite 2 der größten überregionalen Tageszeitung Deutschlands, ordentlich die kulturelle Hegemonie rocken wird -) wird angesichts meines Elends nur die Schultern zucken und sagen: "Also, wenns nach neun Vorstellungsgesprächen immer noch nicht geklappt hat, dann ist es ja wohl ersichtlich, dass der Kerl für die Sachen, für die er sich bewirbt, denkbar ungeeignet ist." Dieser Kerl und PR? Dieser Kerl und "Kreativität"? Dieser Kerl und Vermarktung? Dieser Kerl im Kontakt und Gespräch mit Menschen? Kann er das eigentlich? Darf er das eigentlich? Will er das eigentlich?
Nein, will ich nicht. Aber was ich will, ist denkbar irrelevant. Mein jetziger Zustand wäre an sich schon ziemlich auszuhalten, wäre da nicht der permanente Mangel am Zugriffsmittel für gesellschaftliche Teilhabe (Alkoholkonsum!) und individueller Aktivität (Alkoholkonsum!) - landläufig bekannt als Geld. Was ich machen wollte, kann ich nicht, weil es mir schlichtweg verwehrt wird - und weil ich das antizipiere, mache ich mir schon keine Gedanken mehr, was ich denn wollte, weil ich es ja eh nicht machen könnte. Zeit für Selbstbetrug ala "Geld macht auch nicht glücklich"? Oder anfangen zu träumen? Stell Dir vor... Dann doch lieber nach dem Motto der weltbekannten Lyriker Motörhead: "Love Can't Buy You Money". Weil wahnsinnig glücklich - weil ohne Geld - zuhause rumhocken und ständig vor Augen zu haben, was gerade alles nicht geht (und das ist augenscheinlich ne Menge) geht einem so was von auf den Sack. Und das von einem wie mir, der den Spruch "My Home Is My Castle" sehr ernstnimmt und seine vier Wände als atombombensichere Trutzburg gegen alle möglichen menschlichen Annäherungsversuche versteht. (Dass meine Wohnung nicht wirklich atombombensicher ist und schon durch so was simples wie dem Organ eines nervenden Schreikinds überwunden werden kann, liegt nicht an mir, sondern an der intelligenten Bauweise eines Wirtschaftssystem, das (siehe oben) die Menschen zu Anhängsel degradiert - immerhin liegt sie in Milbertshofen, wo sich keiner mal "spontan" hinverirrt.) Kurzum: Nein, ich will in einem Job nicht so nen Scheiß wie "Spaß", "Spannung", "Selbstverwirklichung", "Herausforderungen", "Projekte", "Verantwortung", "Eigenständigkeit" - sondern: Geld! Nein, eigentlich will ich auch kein Geld. Ich will nur das mir Möglichkeiten offenstehen - und weil das ja nur mit Geld geht ("Wie sollte es denn sonst gehen?") muss eben Geld her.
Aber dafür muss man tun! Und als Sprößling einer Arbeiter- und Bauernfamilie, in der der Beruf "Sohn" technisch unmöglich ist, bedeutet das eben: Verkauf der Arbeitskraft! Und da ich ja jeden Tag mein Glück schmiede, habe ich mir wohl mit der Wahl des Studium der Politikwissenschaft ordentlich auf die Finger gehauen - aber so was von. Wie kann man denn auch so blöd sein? Brauchen wir noch einen Heini, der glasklar und systematisch (wissenschaftlich!) analysieren kann, warum Faschisten und Kommunisten selten eine gemeinsame Regierung bilden werden, oder im Fernsehen einen Grundgesetzartikel vorlesen und weltmännisch erklären kann, dass eine "absolute Mehrheit" über 50% liegt? Nein! Und wenn der Depp tatsächlich meinte, dass er sich mit dem Mist ordentlich "selbstverwirklichen" konnte, dann hat er sich geschnitten - hätte er sich einfach frühzeitig dem funktionalen Anforderungsbedürfnis der Gesellschaft untergeordnet und hätte dieses als sein Interesse angenommen, ja, dann hätte er sich selbstverwirklichen können und hätte sein Glück schmieden können. Aber was musste er machen? Er musste seinen eigenen Weg gehen. Aber das hat er nun davon, der Spast! Geschieht ihm recht. Wo kämen wir denn da hin, wenn plötzlich Leute anfangen würden, für sich selbst zu definieren, was "Glück" denn bedeute. Das machen wir schon für sie. Das kann einfach nicht angehen. Aus der Reihe tanzen ist nicht! Gott sei Dank leben wir in einem System, das diese Störenfriede gnadenlos ausmerzt. Verrecken sollen sie, Elendige!
Hier vermischt sich der ganze Spaß von "wollen", "können", "dürfen" und "müssen". Das individuelle Bedürfnis wird eliminiert und durch die Determination der Umstände ersetzt. Der Weg ist vorbestimmt. Und da ich keine Ahnung habe, wie man ne Atombombe bastelt oder ein Auto entwickelt, bei dem bei einem Crash zwar das Kind tot, aber keine Delle im Blech ist; nicht weiß was "Internal Audit" bedeutet; und es auch nicht schaffe, einen Menschen aufzuschneiden und ihn nachher so wieder zusammenzubekommen, dass er tatsächlich überlebt, sind mir unsäglich viele Wege versperrt und ich muss nehmen was übrig bleibt. Und das will ich - weil ich muss.
Und der Kerl will was reißen? Ja. Denn ich weiß zwar bis heute nicht, wie Leute Spaß daran haben können, beispielsweise in der PR-Branche, aufgeblasenen, wichtigtuerischen, selbstherrlichen Journalisten - die meinen aufgeblasen, wichtigtuerisch und selbstherrlich sein zu müssen, weil sie ja Journalisten sind - in den Arsch zu kriechen und irgendeinen nichtsnutzigen Schrott von Produkt, Botschaft oder Image zu vermitteln und zu vermarkten, aber ich weiß, dass ich das kann. Und wenn ich es noch nicht so gut kann, dann lerne ich das schon noch. Und für den Rest, wie Datenbankpflege, Pressemappe mit drei Stück Papier und einer CD zusammenbauen, Presseauswertung und Powerpoint-Präsentationen braucht man weder Studium noch Intelligenz. Nen Text repräsentativ zu gestalten, d.h. ohne Rechtschreibfehler, verlangt da schon einiges mehr - aber Übung macht den Meister. "Ist das nicht Selbstverleugnung?" Na, selbstverständlich!"Aber wo bleibt die Spannung und die Herausforderung?" Welche Spannung, welche Herausforderung? Was ist daran spannend und herausfordernd, eine Tätigkeit zu tätigen, die tausende Menschen alltäglich tätigen und für die es nahezu schon Handbücher und Ausbildungen gibt? Das ist schnöder Alltag. "Spannend" und "herausfordernd" wäre es z.B. zu schaffen, Pädophilie als Menschenrecht im Grundgesetz zu verankern oder einen Propagandafeldzug gegen Veganer zu fahren, welcher sie als Volks- und Wirtschaftsschädlinge ins Gulag bringt. Aber nein, da freut man sich schon, wenn man es geschafft hat, die Krebshilfe im gnadenlosen Spender-Wettbewerb besser zu platzieren als die Welthungerhilfe. Die Selbstbeweihräucherung als Gutmensch gibts dann zum Feierabend gratis dazu. Das zum Thema "können" - jetzt zum Thema "dürfen".
Jetzt schmieden aber plötzlich ganz viele Leute ihr eigenes Glück, das erschreckend gleichförmig ist, und geraten sich irgendwann mal in die Quere. Schließlich verkloppen sie sich gegenseitig mit ihren Hämmern und am Ende hat der gewonnen, der den größten hat. Der größte und beste Hammer ist meistens der, der am wenigstens Ecken und Kanten hat und damit überall optimal hineinpasst. Dieser Mensch ist dann glücklich und darf sich als Gewinner der Konkurrenz fühlen und sich für seine herausragende Positionierung im Markt auf die Schulter klopfen. Und der Rest darf schauen, wo er bleibt, und muss noch ne Runde weiter schmieden - weil sie sind ja selbst schuld, dass sie bei der Vorbereitung ein paar Fehler gemacht haben. Bei Null anzufangen ist für Leute Mitte Zwanzig etwas schwierig und Selbstmord ist ne unsichere Sache, weil Wiedergeburt nur in wenigen Religionen postuliert wird und damit nicht wirklich garantiert ist. Wenn sie dann doch noch irgendwo unterkommen und sich für 500€ im Monat prostituieren, dann dürfen sie das noch als herzerweichenden Gnadenakt begreifen.
Und nicht vergessen: "Selbst schuld!"
Freitag, 26. Oktober 2007
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