Montag, 19. November 2007

Quod non est in actis, non est in mundo

(Was nicht in den Akten ist, ist nicht in der Welt.)

Obwohl ich nach 3 1/2 Monaten eigentlich ein Experte - wenn nicht sogar der Experte - fürs Warten geworden sein müsste, gibt es immer noch manches, dass mich in all der Langeweile stresst und mir so gar nicht ins Konzept passt: Nachmittagstermine. Da verschläft man schon extra den ganzen Vormittag und muss dann trotzdem noch ein paar Stunden vor sich her warten. Da braucht man gar nichts anfangen, weil es lohnt sich ja eh nicht. Nicht, dass ich in der letzten Zeit irgendwas angefangen hätte, schon gar nichts, das sich gelohnt hätte - aber alleine die fremdbestimmte Verweigerung der Möglichkeit nervt. Wenn ich nichts zustande bringe, dann will ich das immer noch selbst so gewollt haben. Die höchst philosophischen Abstraktionen und Reflexionen, ob jetzt einfach so dahin warten, ohne konkretes Ziel respektive Objekt daher besser ist als darauf warten, dass ein konkretes Ereignis endlich eintritt, verschiebe ich mal auf später.

Irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, wo ich mich zum örtlichen Auftraggeber der GEZ aufmachen musste. Es gibt eine Ausbildung zum "Wissenschaftlichen Dokumentar" zu vergeben. Auf Englisch heißt das "Information Specialist", was schon ziemlich cool klingt, aber letztendlich nichts anderes ist als ein Archiv-Fuzzi - zumindest so wie es der jetzige potenzielle Arbeitgeber konzipiert hat.

Sobald man den Raum betreten hatte, konnte man schon spüren, dass erstens bei diesem Arbeitgeber und zweitens in diesen Tätigkeiten ein ganz anderer Menschenschlag arbeitet als bei den ganzen schicken, trendigen, mordsinternationalen Agenturen, bei denen ich war. Selbst der Mensch von der Personalabteilung war mal menschlich, richtig nett - vielleicht sogar ein bisschen mehr aufgeregt als ich. Das Jobprofil, das mir dort präsentiert wurde, würde schätzungsweise 95% der jungen, hippen, erlebnishungrigen Uni-Absolventen in den sofortigen Tod durch Langweile treiben. Irgendwo (wahrscheinlich tatsächlich im Keller) hocken, seine Akten bearbeiten und dokumentieren, ab und zu mal eine Recherche starten, ganz im Bewusstsein, dass das kein Job zur Selbstverwirklichung ist, eine rein dienende Tätigkeit, nicht verbunden mit eigener selbstständiger (historischer) Forschung und schon gar nichts mit eigener journalistischer Tätigkeit. Zusammengefasst: die reinste Negation von Spannung, Kommunikation, was mit Menschen zu tun haben, Herausforderung, "interessante Erlebnisse", etwas in der Welt bewegen etc - der totale Anti-Job, quasi.

Also nichts anderes als mein absoluter Traumjob. Was gibt es besseres für einen menschenscheuen Menschen wie mich - äähh... scheu jetzt nicht unbedingt, aber formulieren wir so: Würden morgen 99,99% der Menschheit, sagen wir durch einen Atomkrieg zwischen Iran und Pakistan, ausgerottet, fände ich das ganz okay (ist das jetzt schon Misanthropie?) - als das absolute Minimum an menschlicher Interaktion und Kommunikation. Mir wurde eine berufliche Karriere aufgezeigt, in der nicht mal im Ansatz die Möglichkeit besteht, sich selbst ein Lügengerüst und ein Phantasma aufzubauen, dass diese fremdbestimmte Lohnarbeit irgendwas mit dem Erreichen des persönlichen Glücks zu tun haben könnte. So nackt, ungeschminkt und hässlich - und somit ihren wahren Charakter aufzeigend - kam Arbeit bislang nur beim Eintüten von Massenbriefsendungen daher. Ein Job, dessen Beschreibung auf Partys jedweden aufdringlichen Gesprächspartner in die Flucht schlägt: "Hilfe, warum tust Du Dir das an?" - "Geld. Und möglichst wenig Scheiße als Gold kommunizieren, anpreisen, verkaufen. Und warum bist Du Junior Key Account Manager Assistent?"

Was mir allerdings drohen könnte, wäre eine Pervertierung meiner Gedankenwelt durch so viel direktem Kontakt mit der tristen, hässlichen, lebensfeindlichen Realität des Kapitalismus hin zu einer der jämmerlichsten Gestalten, die neben schleimigen Karriere-Managern jemals kreiert wurde: Live-Rollenspieler. Das gilt es zu verhindern, da muss man standhaft bleiben, das darf nicht geschehen. Aber man sieht: auch solche Jobs haben durchaus ihre Herausforderungen.

Nachdem der Laden für die zweijährige Ausbildung ein Gehalt zahlt, das sich nicht von den PR-Traineeships verstecken braucht, sogar die Gebühren für die Fortbildungsseminare komplett übernimmt, ist der einzige Wermutstropfen bei der Geschichte: eine spätere Übernahme ist zwar nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Wörtlich: "Es hängt halt davon ab, ob in dem Zeitraum, bei dem Sie bei uns sind, jemand in Rente geht. Und das können wir Ihnen jetzt so nicht garantieren." Aber wenn ich später mein ganzes Leben als Archiv-Fuzzi verbringen will, dann habe ich dort eine sehr gute, fundierte Ausbildung bekommen. Ich bin sehr angetan.

Aber: Nachdem die Entscheidung erst irgendwann nächste Woche fällt und ich heute die Absage für Gespräch Nr. 10 bekommen habe, hält mich nichts davon ab, morgen meine Unterlagen nach Brüssel zu schicken. Aber Brüssel ist dann doch nur zweite Wahl...

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