Freitag, 2. November 2007

Warum denn nur?

"Jammern bringt doch nichts!" - ja doch: Jammern macht Spaß. Jammern bereitet mir Freude. Jammern ist der ultimative Zeitvertreib. Jammern jedweder Art, ob meckern, nörgeln, rumnölen, motzen, stänkern etc. ist mein persönlicher Beitrag für diese Welt. Ich bin jammern. Mit dem Jammern aufzuhören, hieße für mich gleich eine neue Persönlichkeit anzunehmen. Und so weit will ich dann doch nicht gehen, nur weil ich arbeitslos bin. Gutmenschen erkennen ständig in permanentem und fundamentalem Pessimismus eine suizidale Gefahr. Hört auf! Bei mir nicht. Solange ich permanenten und fundamentalen Pessimismus verbreite, ist alles in Ordnung. Sorgen müsstet Ihr Euch erst dann machen, wenn ich mal Eure hingerotzte Höflichkeitsfloskel "Wie gehts Dir?" mit "wunderbar" beantworte. Mir gehts immer scheiße. Amateure müssen das versuchen auszudrücken, indem sie sich pechschwarze Kutten und umgedrehte Kreuze umhängen, ihre Gesichter kalkweiß mit deutlichen Akzenten von Kajal schminken und nach jahrelangem Training ihre Mundwinkeln nicht mehr bewegen. Ich nicht. Profis brauchen keine Hilfsmittel. Wir können das auch so. Death Metal mag ich zwar auch - aber das ist Zufall.

"Jammern bringt doch nichts!" Und? Nicht jammern bringt genauso wenig. Anscheinend schockierend, obwohl doch so naheliegend. Getrimmt und geblendet durch gesellschaftliche Folklore steht hierzulande das vollkommen eigenständige, das vollkommen selbstbestimmte, das vollkommen autonome Subjekt so hoch im Kurs ("Du kannst es! Du musst nur wollen!"), dass jede Abweichung von der Norm, so klein sie auch sein mag, mit einer angewiderten Empfehlung zum Selbstmord begegnet wird ("Geh doch nach drüben, wenns Dir hier nicht gefällt!"). Dabei genieße ich gerade die zarte, die süße, die ja nahezu erotische Situation der totalen Fremdbestimmung, die totale Negation der subjektiven Autonomie, das Dasein als hilfloser Spielball unbekannter, unkontrollierter gesellschaftlicher Kräfte. Was ich will, ist egal. Was ich denke, ist egal. Was ich sage, ist egal. Was ich fühle, ist egal. Was ich tue - oder eben nicht tue -, ist egal. Ich bin egal. Ich bin raus.

Ich kann machen, was ich will, es wird nichts bewirken. Ich kann jammern oder auch nicht. Ich könnte auch positiv denken oder lächeln oder schwarz gekleidet Gras ausreißen oder beten oder meine Wohnung nach Feng Shui neu ausrichten oder Urlaub machen oder Lotto spielen oder, oder, oder... Aber egal ob Optimist, ob lebender Sonnenschein, ob Lyrik-Fanatiker, ob Religionsanhänger, ob Esoteriker, ob Tourist, ob Glücksspieler - die Botschaft bleibt die gleiche. Über mir ziehen sich irgendwelche schwarze Wolken zusammen und spucken mir auf dem Kopf: "Du bist nicht dran! Und das wird erstmal so bleiben." Tja, ausgeschissen.

Ich verspüre einen Aufschrei: "Ich halts nicht mehr aus! Du langweilst mich! Das Leben ist verfickt noch mal schön und ich lass es mir von so einem Hundskrüppel wie Dir nicht versauen! Gehirnamputierte Wichser wie Du haben doch keine Ahnung, was Genuss bedeutet! Verkriech Dich doch in Deine Höhle und flenn rum! Spring in ne Jauchegrube und ersauf da drin! Ich lass mir meine gute Laune von so einem Fass voll Scheiße auf zwei Beinen nicht ruinieren! Wenn alles so ein Haufen Dreck ist, warum nervst Du dann die Menschheit mit Deinem verschissenen Blog?" - Ganz einfach, aus drei Gründen:

1) Egoismus. Mir ist langweilig. Jammern macht mir Spaß, ist - wie gesagt - ein Zeitvertreib. Ist DER Zeitvertreib. Dagegen ist im Bett liegen und an die Decke starren ein Dreck dagegen. Allein vor sich rumjammern, quasi nur in Gedanken jammern, bringts nicht wirklich. Und da ich keine Menschen mag, ist andere volljammern auch keine Option. Deswegen ist die Interaktion mit meinem Notebook das Optimale. Der rettende Mittelweg zwischen niemanden und jemanden volljammern. Sozusagen passives Jammern. Steht einfach so in einer Ecke und drängt sich niemanden auf. Und wer das liest, ist selber schuld.

2) Egoismus. Ich lebe mein Leben. Ich kann es nicht verleugnen, es ist einfach da. Aber man muss mich nicht ständig darin erinnern und mich damit konfrontieren a la "Und was passiert bei Dir so?" Zu viel Auseinandersetzung mit meinem Leben tut mir nicht gut - es ist hässlich, es stinkt, hat nen Buckel und hinkt, hat unangenehme Ticks, zuckt immer bizarr rum, kurzum: ist gänzlich unsympathisch. Eigentlich will man damit nichts zu tun haben, aber es klebt an einem wie ne fiese Eiterbeule, man bekommt es einfach nicht los. Der einzige Ausweg besteht darin, es krampfhaft zu ignorieren und zu hoffen, dass man vergisst, dass es da ist. Und falls das aus irgendeinen Grund nicht möglich ist, dann will man nur schnell rein und noch schneller wieder raus. So wenig Kontakt wie möglich. Deswegen ist dieses Blog für mich ein sinnvolles Instrument der Horrorreduzierung. Ich muss nur einmal über mein Leben reflektieren und berichten, nur einmal Schmerz und Pein, nur einmal Leid und Elend... und mein gesamter Bekanntenkreis ist informiert. Gott, bin ich nett.

3) Egoismus. Als Politikstudent konnte ich es nicht verhindern, dass ich in Kontakt zu anderen Politikstudenten kam. Und manche meinen tatsächlich, dass man mit einem Politikstudium glücklich werden kann. Wahrlich eine skurrile Spezies. Denen will ich mit diesem Blog die Augen öffnen. Nicht dass ich sie vor Unheil bewahren will oder vor einem existentiellen Fehler warnen möchte. Ich will nur, dass sie aufhören, mich zu nerven. Ständig dieses naive, kindliche Rumgesabbere: "Wenn ich mal groß bin, werde ich reich, berühmt, mächtig, sexy, erfolgreich, beliebt... und glücklich!" Einmal feste draufhauen, alle Hoffnungen, alle Träume, alle Illusionen zerschlagen und gut ist. Weil endlich Ruhe. Der Friede liegt im Nichts.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

ich schmunzel und verneige mich! ja, das geht beides, auf einmal.