Samstag, 15. März 2008

Ich gebe Entwarnung

Sollte man - einfach mal so - kurz meine momentane Lebenssituation reflektieren, würde sich folgendes offenbaren: ein junger Mann sitzt eingeschlossen und isoliert von der ungeliebten Welt, die ihn nicht liebt, in seinem Zimmer, (aus Mangel an Beweisen fürs Gegenteil) mit dem Loser-Label versehen, dröhnt sich mit allen Arten von Metal zu, ist froh, dass er in Belgien und nicht in Frankreich ist, was das sich betrinken mit Bier leichter macht, spielt Computerspiele, in denen es ab und zu auch darum geht, mit einem eindrucksvollen Waffenarsenal auf alles zu schießen, was sich Programmierer gerade so ausdenken, erquickt sich an anti-optimistischen (oder auch anti-schönrednerischen) Liedtexten, wie denen von Hatebreed im Lied Defeatist: cause you hate yourself / and you hate this world / and you hate the fact / that you hate every moment und nervt via Internet seine Umgebung, die ihn ja eh nicht liebhat, mit seinen Gewalt- und Rachefantasien.

Woran erinnert das bloß? Aber sicher - an Amok!

(guckst du Wikipedia) Die Täter sind meist Männer mit aggressions- und konfliktgehemmter Persönlichkeit. Typisch ist, dass es sich bei Amokläufen nicht um Affekthandlungen handelt. Die Tat ist vielmehr eine Folge allmählicher Entwicklung gewalttätiger Gedanken und Fantasien. Tatmotiv ist meist Rache (61%).
Als den Amoklauf auslösende Faktoren sind inzwischen hauptsächlich diese Phänomene ausgemacht worden:
  • die mehr oder weniger fortgeschrittene psychosoziale Entwurzelung des Täters
  • der Verlust beruflicher Integration, sei es durch Arbeitslosigkeit, Rückstufung oder Versetzung
  • zunehmend erfahrene Kränkungen unterschiedlicher Art und durch unterschiedliche Personen
Es wird Zeit! Zeit zum Handeln! Schluss mit dem ewigen Gerede! Es muss etwas getan werden! Jetzt! Sofort! So kann es nicht weitergehen! Taten und nicht Worte bestimmen den Lauf der Welt! Los! Auf gehts! Action ist angesagt! Wah! Aargh! Buah! Sabber! Glucks! Grunz! Uuuuuaaaaaaa!

Jetzt ist aber so: Selbst wenn ich mir meine Lieblingshalbautomatischemaschinenpistole aus meinen Computerspielen besorgen könnte - was angesichts meiner unamerikanischen Nationalität und den dann doch normalen Hobbys meines Vaters ziemlich kompliziert werden könnte -, selbst wenn ich mir beim Laden und Entsichern angesichts meines praktischen Geschicks nicht den Finger einklemmen würde, selbst wenn ich angesichts des Mangels an Gewicht und Muskelkraft nicht vom Rückstoß durch den halben Raum geblasen würde, selbst dann würde ich ne ziemliche miese Performance, was Amokläufe angeht, abliefern - denn ich kann nicht zielen! Und Zielen ist manchmal - nicht immer - ne ziemliche wichtige Voraussetzung für Treffen. Und ohne Treffen, kein cooler Amoklauf. Und ein uncooler Amoklauf ist einfach nur scheiße!

Stellt Euch mal vor, wie Neo und Trinity aus The Matrix mit ihren sehr schwarzen Haaren, ihren sehr schwarzen Mänteln und ihren sehr schwarzen Sonnenbrillen, ihre sehr schweren und sehr großen Wummen rechts und links zücken und dann fulminant ihr gesamtes Magazin einfach daneben feuern. Nein. Das hätte wirklich niemanden beeindruckt und auch niemanden verleitet, diese Szene für ihren eigenen Amoklauf zu imitieren.

Scheiße, nicht mal das kann ich. Und warum? Wieder so ein Produkt von falschen Entscheidungen! Ich Loser. Da kommt man schon aus Bayern und was macht man? Man macht einen großen Bogen um jeden Schützenverein. Nur weil man die deutsche Vereinsmeierei für die Wiedergeburt der faschistischen, kleinbürgerlichen Beschränktheit in Deutschland hält. Insbesondere in Bayern, insbesondere auf dem Land. Wie konnte ich nur so arrogant sein? Wie konnte ich auch so blöd sein? Was habe ich verpasst? Saufen in einer Gruppe aus 100% Männer, betrunken Schwanzvergleiche in echt und/oder metaphorisch durchziehen, Rassismus, Antisemitismus, Xenophobie und Misogynie zelebrieren, ab und zu nen Rollstuhlfahrer umkippen und Kameraden fürs Leben finden. Chance 1 verpasst, Chance 2 (Bundeswehr) und Chance 3 (Burschenschaft) gleich hinterher. Kruzifix. Überall wird Lifelong-Learning gepredigt und ich verpasse sämtliche Gelegenheiten, den Basis-Soft-Skill aller Amokläufe ("Zielen") quasi mit der Muttermilch aufzusaugen. Jetzt ist es halt einfach mal zu spät.

Ich gebe also mal Entwarnung. Nix Amoklauf, nix schießen, nix Tote, nix Medienaufmerksamkeit, nix Berühmtheit. Muss ich doch nen Job finden.

Ach ja, noch was, das mich anleiten sollte, die Sache mit dem Amoklauf noch mal zu überdenken: die Computerspiele, die ich zurzeit spiele. Coole Leute, wie die da aus der Columbine Highschool und der Kerl da aus Erfurt, haben so Amoklauflastiges wie Counter Strike oder Quake oder sonst was in die Richtung gezockt. Und ich?
  • ich bewerfe ganz böse Käfer mit Blumen (Tarnation)
  • ich schieße mit einer Flak Ballone und Zeppeline ab (Balloon Invasion)
  • ich steuere einen Fliegenden Fisch und versuche auf Seifenblasen zu hüpfen (Flying Fish)
Ein Amoklauf mit ner Flak? Ner FLAK? Da ist nichts mit cool unterm Mantel verbergen und aufgebaut werden muss das Teil auch erstmal. Und gegen das Problem mit der Treffgenauigkeit hilft das auch nicht weiter. Flak scheidet aus. Ehrlich gesagt mag ich Ballone und Zeppeline, irgendwie.

Dann hüpfe ich doch lieber als Fliegender Fisch verkleidet durch die Gegend, tue so als wären überall Seifenblasen und bewerfe jeden Spast, der mir in die Quere kommt, mit Blumen - weil das ist individuell! Das ist alternativ! Das ist innovativ! Das ist einzigartig! Und nicht so ein spießiger, bürgerlicher Standardscheiß, wie Amoklauf mit Uzi, schwarzen Mantel, Verletzten, Toten und traumatisierten Schulmädchen. Damit kann man Frauen beeindrucken, garantiert. Und Arbeitgeber erst recht.

Auffallen muss der Mensch!

1 Kommentar:

Magister Artium hat gesagt…

Ich habe jetzt die Moderierung der Kommentare aktiviert, also nicht erstaunt sein, wenn die Kommentare erst irgendwann öffentlich sein werden.

Damit will ich mehr Gewissheit haben, dass meine Anonymitätsstandards eingehalten werden.

Gruß, Ich