Montag, 3. November 2008

Nicht allein - niemals

Das Mitleiden, sofern es wirklich Leiden schafft - und dieß sei hier unser einziger Gesichtspunct -, ist eine Schwäche, wie jedes Sich-verlieren an einen schädigenden Affect. Es vermehrt das Leiden in der Welt. - Good ol' Nietzsche in seiner Morgenröthe

Aber glücklicherweise hat in unserer Gesellschaft, in der jeder vor Freude frohlockt und immer gut drauf ist, Nietzsche nichts zu melden. Die Basis dafür bildet die Gewissheit, die jedem von uns mit in die Wiege gelegt wird: Du bist nicht allein! Diese Kenntnis führt uns durch die dunkelsten Täler unserer Existenz. Ein solches Tal habe ich ihn der letzten Woche durchlebt. Ich hatte Urlaub. Unterbrechung der Selbstverwirklichung. Kalter Entzug. Isolation. Pures Leid.

Dann war endlich wieder Montag und ich war nicht mehr allein, denn ich konnte wieder zur Arbeit. Welch Freude durchströmte mein Wesen als ich wie ehedem Punkt 8.28 Uhr an der U-Bahnstation war, um die U-Bahn um 8.30 Uhr zu nehmen, und all die bekannten Gestalten sah, die auch Punkt 8.28 Uhr an der U-Bahnstation sind, um die U-Bahn um 8.30 Uhr zu nehmen. Wie sprang mein Herz, als ich wieder den Brillenträger mit der äußerst individuellen Extrem-Topf-Frisur und den äußerst schlecht sitzenden dunklen kurzärmligen Hemden, die sich farblich intensiv mit den dunklen Anzughosen beißen, erblicken durfte. Wir sind uns schon so sehr vertraut, dass wir uns gegenseitig Freude spenden, ohne so sinnlose und lächerliche gesellschaftlich festgelegte Rituale wie Begrüßungen zu zelebrieren. Wir bilden eine harmonische Gemeinschaft, in der jeder von uns seinen festen Platz hat. Meiner ist dort, wo die hintere Tür des dritten U-Bahnwagens von vorne hält. Dann kommt die U-Bahn, die Türe öffnet sich und ich bin erst recht nicht mehr allein. All diese Menschen. All diese Nähe. All diese Wärme. Ein Paradies.

Vollends singen die Engel ihr himmlisches Lied, wenn mir die Gnade zu teil wird, dass eine Schulklasse einstiegt. Kinder, unsere Zukunft, wie sie lachend und strahlend durchs Abteil tollen und dabei eine energetische Hymne auf das Leben anstimmen, die alle Geräusche des niedrigen Daseins überschallt. Sie verbreiten die Botschaft "Nein, Du bist nicht allein" bis in den dunkelsten Winkel dieser Welt. Ihre Mission ist so allumspannend, dass sie bei jeder Station eine felsenfeste Phalanx vor der Tür bilden, damit kein Fahrgast verloren und in die kalte, herzlose Leere gestoßen wird. Wie froh ich bin, so etwas in meiner unwürdigen Existenz erleben zu dürfen. Danke.

Lieber Leser, egal wie schmerz-, pein- und leidvoll Dein Leben auch sein mag, höre das Evangelium: Du bist nicht allein!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich mache mich auf den Weg zu einem einsamen Berggipfel, dessen höchster Punkt so schmal und steil ist, dass außer mir wirklich niemand Platz hat dort oben. Und dann lass ich mir den kalten Wind um die Nase wehen.
Scheiß Schulklassen.