Ich werde kommentarlich vermisst. Das schmerzt. Denn im Grunde vermisse ich mich selbst auch. Mein misanthropisches, ewig schlecht gelauntes, zynisches und egomanisches Ich war doch stets ein spaßiger Zeitgenosse. Aber: Schockierend wie es klingt, mir geht es hervorragend. Im letzten Jahr ist mir die Sonne aus dem Arsch geschienen wie selten zuvor. Wie soll man denn da bitte schön authentisch granteln, motzen und geifern? Und authentisch sein ist essentiell, weil trendy, und daher ohne zertifizierte Authentizität keinen Sex. Und ohne Sex keinen Blog-Eintrag, oder so…
Zum einen katapultierte mich 2011 aus der Liga der unglaublich Schlechtverdiener in die nächsthöhere Riege der nicht mehr ganz so Schlechtverdiener. Am Ende des Monats bleibt jetzt so viel übrig, dass ich mich sogar Spießerkacke wie Altersvorsorge und Berufsunfähigkeitsversicherung widmen konnte – und ich habe es genossen. Solche reine Lebensfreude konnte ich mir als Student nicht einmal vorstellen.
Zum anderen bescherte mir 2011 ein neues Umfeld, das genau richtig war, um meine Selbstverliebtheit zu unbekannten Höhen zu führen. Früher ergab ich mich gerne in egalitaristischen Hirngespinsten mit einer gewissen Reserviertheit, dass meine Fähigkeiten und Kenntnisse so in etwa dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprächen. Doch dann kamen sie und meine Phantastereien zerstoben im Nu. Ich spürte Diskrepanz, Abgründe und turmhohe Niveau-Unterschiede. Nichts war gleich. Herzzerreißende Spannungen taten sich auf. Wie konnte das sein? Sind sie wirklich so unfähig, demotiviert, schlecht und dumm? Ich verstand es nicht. Da ich aber brav kapitalistisch und freiheitlich sozialisiert wurde, suchte ich natürlich zuerst den Fehler bei mir selbst und schob nicht dem System – dem System! – den schwarzen Peter zu. Die anderen sind nicht deplatzierte Lackaffen, nein, es liegt an mir: ich bin nur einfach sensationell genial! Das war die Lösung! Wenn ich auf Leute herabschaue, dann nicht aus Arroganz, sondern weil ich einfach größer bin als sie! Seitdem stehe ich morgens äußerst gerne auf.
Drittens bekämpfte ich erfolgreich meinen Erzfeind und gleichzeitig den größten Quell meiner Inspiration: den Rückenschmerz. Und man mag es fast nicht glauben: mit Sport. Also Quasi-Sport. Nicht diesen Selbstoptimierungsmüll wie Joggen und an Wände rumkraxeln. Das soll ja angeblich Wunder wirken, ähnlich wie Wandern und Räucherstäbchen anzünden. Dann sei man ganz bei sich und sonstiger esoterischer Quark. Nein, ich dehne und strecke mich, höre dazu undeathmetalige Gute-Laune-Musik und lebe beschwerlos. In der U-Bahn zu stehen, ohne eine schmerzverzerrte Fratze zu ziehen, hat durchaus was, wie ich feststellen musste. Dort habe ich zwar immer noch eine Fresse, als hätte mir ein Hund das Knie weggebissen, aber das hat jetzt andere Gründe.
Und schließlich kackt gerade der Euro ab. Diesen Mist fand ich nie besonders prickelnd. Alle bekamen Hysterieanfälle, weil man jetzt nicht mehr für den Urlaub unseriöses Geld wie Schilling oder Lira in die Hand nehmen musste. Gefreut haben sie sich. Mir blieb bloß zu nörgeln: Wartet es ab, ich sags euch. Und was ist? Ich hatte Recht, Bitches!
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