Nach einem Biergartenbesuch im Prekariatsland, irgendwo zwischen Berg-am-Laim und Neuperlach, proletigen 2 1/2 Maß Bier und vielen Selbstverwirklichungsgeschichten der ehrwürdigen Arbeitnehmerfamilie, von Burn-out über Frühverrentung, Arbeitsinvalidität und Ausbeutung bis hin zur Top-Down-Idiotie, beschloss ich mein Leben umzukrempeln: Ich werde Styler! Es kann nicht sein! So darf es nicht weitergehen. Profanität und Austauschbarkeit sind so was von vorgestern.
Nun beginnt also meine Stylerzeit. Aufbruch zur neuen trendsettenden, vollhippen, haste-nicht-gesehen Eisdiele mit einem stylischen Namen, den ich immer wieder vergesse, gegenüber dem neuen Museum Brandhorst. Ich begann meine Stylerzeit standesgemäß mit einer Kugel Holunder-Bananeneis. Zwei stylische Gedanke durchzuckten mein hippes Gehirn: Einerseits schmeckt Holunder nach nichts und andererseits wurde mir wieder bewusst, warum ich Fruchteis nicht mag. Stylerzeitinitiation mit Anlaufschwierigkeiten und Anfängerfehlern.
Aus Schaden wird man klug, also schnell wieder zurück zum frisch gekauften Rhabarbersaft für eine sensationell stylisch-hippe Rhabarberschorle. Style geht auch nur mit Intellektualität. Daher behände ‘Joseph und seine Brüder’ von Thomas Mann aus dem Regal gezaubert und hinein in den Style-Genuss. Gut, dass zwischendurch die Rhabarberschorle griffbereit war und die hippe Energie vermittelte, um künstlerisch-intellektuelle Styligkeiten, wie die folgende, auszuhalten in ihrer Gesamtheit, Länge, Komplexität und Kunsthaftigkeit vollkommen zu durchdringen:
Die Überlieferung will wissen, daß ihm sein Gott, der Gott, an dessen Wesensbild sein Geist arbeitete, der Höchste unter den anderen, dem ganz allein zu dienen er aus Stolz und Liebe entschlossen war, der Gott der Äonen, dem er Namen suchte und hinlängliche nicht fand, weshalb er ihm die Mehrzahl verlieh und ihn Elohim, die Gottheit, versuchsweise nannte: daß also Elohim ihm ebenso weitreichende wie fest umschriebene Verheißungen gemacht hatte, des Sinnes nicht nur, er, der Mann aus Ur, solle zu einem Volke werden, zahlreich wie Sand und Sterne, und allen Völkern ein Segen sein, sondern auch dahingehend, das Land, in dem er nun als Fremder wohne und wohin Elohim ihn aus Chaldäa geführt hätte, solle ihm und seinem Samen zu ewiger Besitzung gegeben werden in allen seinen Teilen, – wobei der Gott der Götter ausdrücklich die Völkerschaften und gegenwärtigen Inhaber des Landes aufgeführt hätte, deren ‘Tore’ der Same des Ur-Mannes besitzen solle, das heißt: denen der Gott im Interesse des Ur-Mannes und seines Samens Unterwerfung und Knechtschaft bündig zugedacht habe.
Das war schon mal nicht verkehrt. Aber für einen echten Styler bei weitem nicht genug. Was fehlt? Rumstylen am Stylerzentrum Gärtnerplatz! Für einen Styler das absolute Muss. Da saß ich also, auf dem Mekka des Münchner Stylers und stylte vor mich her. Vollkommen hipp wie ich war, saß ich da und beobachtete andere – natürlich stylische, hippe, junge – Menschen, die dort rumsaßen und andere Leute beobachteten, wie sie ihren Style zelebrierten. Sekunden, Minuten, ja Stunden verronnen und es war erhaben, dass nichts weiteres passierte als intensive mannigfache Stylepflege.
Die Idylle beschädigte ein wenig der massenhafte Verzehr von pöbeligen Bier, der natürlich durch sein widerliches Pfandflaschensystem auch die letzten (unstylischen) Aasgeier der niederen Gesellschaft anzog. Auf der anderen Seite: Wer bringt schon seinen Müll selber weg? Aber diese Kotaktstelle zum Elend wurde konsequent gemieden. Mit mir nicht! Ich nicht! Ich trank durch fremde Hand gereichten Rotwein. Ich vermute es, denn durch die kristalline Transparenz des Plastikbechers schimmerte samt-rötliche Farbe. Er schmeckte okay wie ein Hauch von Kirschen, an denen sich durch die ersten Sonnenstrahlen des Tages erfreute Wassertropfen ihre einzigartige Lebensfreude mit voller Grazie entlang schmiegen.
Und irgendwann setzte auch die berauschend-betäubende Wirkung des Alkohols ein, die die beklemmende Langweiligkeit des Styertums ein wenig milderte….