Armageddon steht an. Die Weltwirtschaft kackt ab und offenbart mit schrumpfenden Wachstum die Begriffsleere unserer Ökonomen; soziale Unruhen in Deutschland drohen die CSU aus dem Europaparlament zu fegen; die Schweinegrippe ruiniert manch Gesundheit und viel mehr Urlaubspläne; somalische Piraten beweisen die Wahrheit des mit Kanonen auf Spatzen schießen; und nun auch noch das. Zeit für einen ARD-Brennpunkt. Die Bevölkerung muss zur besten Sendezeit umfassend informiert werden. Das Ende ist nah: Bayern München entlässt Jürgen Klinsmann. O-h-m-e-i-n-G-o-t-t. Alles, bloß das nicht.
Aber eigentlich musste es ja so kommen. Zurzeit durchlebe ich eine ordentliche Pechsträhne. Meine favorisierten Fernsehserien kommen an ihr Ende oder entblößen einen ähnlichen Unterhaltungswert wie mitten auf dem Gehweg scheißende Hunde. Mein neuester Rettungsanker zeigt sich als Open-Source-Projekt in Entwicklung, das sich mitten im Spiel als, naja, unfertig entpuppt. Meine letzte Spießerphantasie (ich sage nur tut-tut) scheiterte am lückenhaften Sortiment des gut sortierten Einzelhandels. Seitdem ich arbeite und dadurch noch weniger erlebe als damals als anthropophober Student, der sich in sein dunkles Kämmerlein sperrte, sich zu Death-Metal-Klängen von der Reizüberflutung der Welt entspannte und betete, dass eine Neutronenbombe die nervende Nachbarschaft auslöscht, weil man mal wieder bei First-Person-Shootern nicht übers erste Level hinauskam, seitdem steigt sprunghaft das Pseudointeresse des Gegenübers an meinem Leben an. Und das zweitschlimmste: Es konfrontiert mich.
Früher als Satan mal einen Einserpasch würfelte und am gleichen Ort zur gleichen Zeit zwei Personen, die außer einer optischen Aneinander-Gewöhnung nichts miteinander zu tun hatten, versammelte, da wurde höchstens mit unbewegter Miene kurz, nahezu unauffällig genickt und dann konsequent geschwiegen. Aber heute stürzen sich die Leute wie Geier auf einen und sondieren mit dem ewig gleichen Mantra "Wie gehts Dir? Was machst Du? Hast Du Spaß?" ihren Rang in der universalen Glücks- und sonstigen Materialismus-Konkurrenz und lassen erst dann los, wenn man ihnen den Gefallen macht, ihnen das Gefühl zu geben, zumindest einen Menschen um Längen geschlagen zu haben. Dann freuen sie sich und gehen, aber sie gehen. Wo sind die Zeiten hin, wo Individuen noch Individuen waren, Egozentrik noch das eigene Ego als Zentrum anerkannte, Selbstreferenzialität noch auf sich selbst Bezug nahm? Vorbei. Selbstverwirklichung herrscht als Systemzwang und drückt mir ständig phantasierten Müll wie Spannung, Lebensfreude, Dynamik und Erfüllung aufs Auge. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Ich gebe auf. Früher war alles besser.
Aber jetzt ist alles aus. Klinsmann ist nicht mehr Messias, äh Trainer von Bayern München. Und ich muss mir ganz schnell eine schöne, oberflächliche, aber glaubhafte Geschichte einfallen lassen, die ich den oberflächlichen Fragen nach meinem Urlaub entgegne, was ich denn alles Tolles, Schönes, Spannendes in meinem Urlaub gemacht habe, um diese Small Talk-Phase des Konkurrenzkampfes nicht länger und schmerzhafter als nötig ausfallen zu lassen. Aber davor muss ich erst noch die Theodizee-Frage stellen und erstmal gehörig jammern. Ein bisschen Spaß gehört auch dazu.
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